Schwefel: Fluch und Segen

Martin Darting über Pro, Contra und Alternativen zum Schwefeleinsatz in der Weinbereitung.

„Ohne Schwefel kein guter Wein“, „Schwefel macht den Wein kaputt!“, „Nur Weine ohne /mit Schwefel sind gute Weine“…Wie kommt es zu solchen Aussagen? Wann wird Schwefel wie eingesetzt und warum? Ist Oxidation wirklich per se schlecht und gibt es Alternativen zum Schwefeleinsatz?

Widmen wir uns zunächst der Frage des Wie, also in welcher Form der Schwefel zum Einsatz kommt. Hier sind die folgenden Methoden gängig:

  • Verbrennen von Schwefelstreifen in Holzgebinden wie Barriques, Tonneaux oder größeren Volumina.
  • Zusatz von Kaliumdisulfit (K2S2O5) als Pulver
  • Zugabe von verflüssigtem Schwefeldioxid SO2 aus der Druckflasche mit Dosageglas.
  • Zugabe von schwefeliger Säure Lösung (H2SO3)
  • Zugabe von Natriumhydrogensulfit (NaHSO3)
  • Zugabe von Natriumsulfit (Na2SO3)

Die Frage nach dem Warum ist ebenfalls recht schnell geklärt: Das Ziel ist es immer, die Wirkung des Sauerstoffs zu unterbinden. Denn die zwei wichtigsten Eigenschaften des Schwefels sind a) seine antioxidative, sauerstoffbindende (reduktive) Wirkung und b) seine hygienischen Eigenschaften, insbesondere durch die Minimierung der mikrobiologischen Aktivität auf Trauben, Most und Wein.

Und wie wirkt SO2 im Wein?

Im Wein bindet die schwefelige Säure Oxidationsprodukte der alkoholischen Gärung, vor allem Ethanal (Acetaldehyd), das im Wein nach überreifem Apfel riecht und die direkte Alkoholoxidation darstellt (Ethanol à Ethanal). Ethanal entsteht aber auch durch die enzymatische Oxidation nach der Gärung. Auch dieser Anteil wird gebunden, stellt jedoch quantitativ den größten  Anteil der Oxidationsprodukte dar. So2 inaktiviert also die Oxidasen, sprich jene Enzyme, die Sauerstoff auf die Weininhaltsstoffe übertragen und sie so indirekt oxidieren indem sie ihre Aktivität durch Reduktion (Sauerstoffentzug) inaktiviert.  Zudem hat sie eine bakterizide Wirkung auf die Aktivität der Weinorganismen (Hefe, Bakterien), die zwar nicht abgetötet, aber in ihrer Tätigkeit gehemmt werden. Sie bindet Most- und Weininhaltsstoffe, die im Verlauf der Weinbereitung so oxidiert wurden, sei es direkt oder über Enzymaktivitäten (ca.300 verschiedene Enzyme sind im Wein aktiv).

Soweit die klassische Beschreibung.

Aber Schwefeleinsatz ist auch eine Frage der Stilistik…

Nach dem deutschen Weingesetz muss deutscher Wein stabil, fruchtig und „sauber“ sein, so eine vereinfachte und zusammengefasste Interpretation des Gesetzestextes.

Gleichzeitig wird diese Art der Stilistik, nämlich reduktiv zu arbeiten, d.h. möglichst ohne Sauerstoffeintrag auch als Grundvoraussetzung für Qualitätswein gesehen. Also sind aus deutscher Sichtweise nur reduktive, stabile, fruchtige, fehlerfreie Weine „gute Weine“, denn folgendes Ziel ist vorrangig: Die Produktstabilität, was bedeutet, dass ein Wein dieser Stilistik möglichst lange haltbar ist, sich also sich nicht verändert und lange fruchtig und jung bleibt.

Um dies zu erreichen, wird von der Ernte über den Verarbeitungsprozess bis zu Abfüllung auf Reduktivität geachtet, dabei ist Schwefelzugabe als Unterstützung des reduktiven Ausbaus als Antioxidans das erste Mittel der Wahl.

In Hinsicht auf Hygiene, Produktverträglichkeit und mikrobiologische Minimierung wird Schwefel eingesetzt, um jegliche Oxidation, oder besser, jede Möglichkeit der Instabilität zu unterbinden. Schwefel tötet Bakterien, Wildhefen und andere Mikroorganismen ab und verhindert so, dass diese Weine nach deutscher Sicht verderben. Verderben würde z.B. bedeuten, dass sich Essig bildet oder dass z.B. Histamin (allg. biogene Amine als Stoffe aus mikrobiologischem Eiweißstoffwechsel) entsteht. Auch Nachgärungen oder Aromaveränderung aufgrund von Bakterien oder durch Autolysen (Selbstauflösung) von Gärungshefen werden so verhindert. Die Bildung von Kahmhefen (weißer Belag auf dem Wein) bei der Fasslagerung, würde ebenfalls unter diese Kategorie fallen.

Zur Vermeidung solcher Instabilitäten oder mikrobiologischer Aktivitäten ist ebenfalls Schwefel als „Hygienepolizei“ das erste Mittel der Wahl.

Tendenziell oxidative Weine werden durch staatliche Kommissionen kategorisch abgelehnt.

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Aber ist Oxidation wirklich per se schlecht und was sind die Alternativen zu Schwefel?

Einige Methoden und die Konsequenzen in der Anwendung:

Reduktive Situationen im Wein bilden sich auch durch langen Hefekontakt oder durch einen Eintrag von flavonoiden Phenolen in den Wein, z.B.  durch Maischekontakt, Maischegärung oder Barriqueausbau, aber auch Chips oder die Zugabe kondensierter Phenole erzielen die stabilisierenden, reduktiven Verschiebungen im Wein.

Beabsichtigt man in der Weinbereitung eine Stilistik der Entwicklung und das Zulassen von punktierten Oxidationen, erfährt der Wein Komplexitäten in Aroma, Volumen (Umami, Kokumi) und Mundgefühl (Peptidbildung).

Ein längerer Hefekontakt nach der Gärung wirkt reduktiv, solange die Hefe in Schwebe ist (Batonage) und Sauerstoff verstoffwechselt.

Würde in diesen Prozess geschwefelt, verlöre die Hefe ihre reduzierende Wirkung: sie stirbt ab und die Gefahr einer autolytischen Verunreinigung durch absterbende Hefen (Mercaptan) ist gegeben. In dieser reduktiven Situation (bedingt durch die sauerstoffbindende Fähigkeit aktiver Hefen) wirkt zugesetzter Schwefel weiter reduktiv und die Bildung von reduktiven Böcksern (H2S) ist vorprogrammiert. Eine aromaschonende Schönung des Weines ist dann nur noch durch eine Flugschönung durch Kupfer möglich. Eine Lüftung würde zum einen den Verlust sekundärer Aromen bedeuten (Verseifung = Zerfall der in der Reduktion entstandenen Fruchtester), zum anderen würde der Schwefel den durch die Lüftung eingetragenen Sauerstoff binden und so zur Erhöhung zur SO2 beitragen, ohne den antioxidativen Schutz beibehalten zu können.

Weiterhin entstehen während der kontrollierten Oxidation sensoaktive Stoffe wie Glycerin und kolloidale Verbindungen aus der Hefe. Diese verleihen dem Wein Aroma, weiches Mundgefühl  und proteine Reaktionskomponenten zu Phenolen.

Wie oben beschrieben entstehen durch Enzyme während der Gärung Ethanal, das flavonoide (reife) Gerbstoffe dazu befähigt polymere Strukturen zu bilden und so zur haptischen (Mundgefühl) Struktur des Weines, seiner aromatisch-würzigen (nicht fruchtigen) Komplexität und Stabilität des Eiweißes beiträgt.

Eine geringe Menge an Sauerstoff ist also unabdingbar für eine kontrollierte Weiterentwicklung des Tannins, Aufrechterhaltung der postfermentativen Hefeaktivität und somit zur vermehrten Glycerin-Ausbeute und Aromakomplexität (Peptidbildung).

Tannin wird einerseits durch Polymerisation immer adstringenter (nicht weicher, wie häufig angenommen!) aber auch die phenolischen Farbstoffkomponenten (Anthocyane) polymerisieren und gehen letztlich Verbindungen mit dem Tannin ein, das so seine adstringierende Wirkung verliert, während der Wein aber insgesamt einen Zuwachs an volumengebenden Komponenten erfährt.

Mit geringen Mengen an Schwefel lassen sich diese Reaktionen verlangsamen, besser steuern und kontrollieren. Ein Ausbau im Barrique lässt sich so einfach in den Griff bekommen und entspannt begleiten, ist aber auch nicht unbedingt nötig.

Letzten Endes ist die tägliche Kontrolle unverzichtbar, denn es handelt sich beim Wein um ein lebendiges Produkt, dessen Veränderungen immer im Blick zu behalten sind.

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Was bedeuten diese Zusammenhänge für die PAR Beurteilung des Weines?

Bei einer beabsichtigten modernen Stilistik des Weines ist eine wirksame Menge an SO2 unabdingbar um einen fruchtig, klaren und sauberen Wein zu produzieren. Ein Zuviel, welches sich in Stechen und Brennen bemerkbar macht, ist auch von oenologischer Sicht nicht nötig und kritisch zu beurteilen.

Haltbarkeit, Entwicklungspotzential und Lagerfähigkeit lassen sich mit schwefeliger Säure sehr verändern.

Entscheidet sich ein Winzer bei der Weinbereitung eher für die traditionellere Weinstilistik, wird er zuerst versuchen durch hochwertiges reifes Lesegut viele eigene antioxidative Stoffe in den Wein zu bekommen (Phenole, Hefelager…) um den gleichen Effekt der Lagerfähigkeit zu bekommen wird er weniger SO2 einsetzen müssen und hat sicher ein anderes Entwicklungspotential. Der Wein verändert sich bei geringer Schwefelung schneller und deutlich anders als mit Schwefel.

Gibt er zusätzlich zu seinem eigenen hohen Redoxpotential zusätzlich noch Schwefel, wird der Wein aromatisch verschlossen sein, bitter schmecken und länger Zeit brauchen um sich zu entfalten, auf der Flasche ebenso wie im Glas.

 

Die Serie über die Entstehung der Weinstile in Zusammenhang mit der Weinbereitung wird fortgesetzt.

Martin Darting,  September 2018

 

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